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1. Rechtliche Grundlage in der Bundesrepublik Deutschland

 Eines der Ergebnisse des Kirchenkampfes Otto von Bismarks war die Abschaffung der Staatskirche und die Gleichstellung der Religionsgesellschaften untereinander und die klare Abgrenzung vom Staat.

 

Die Bestimmung der „Weimarer Reichsverfassung“ Art.137 sagt wie folgt:

„Es besteht keine Staatskirche. Die Freiheit der Vereinigung der Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluss von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebietes unterliegt keinen Beschränkungen.

Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.

Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.“

 

Der Art. 137 der "Weimarer Reichsverfassung" regelt rechtlich das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaft:

  • Vor dem Staat gibt es eine rechtliche Gleichberechtigung aller Religionsgemeinschaften in Deutschland, die klassische Staatskirche mit ihrer ursprünglichen Macht und ihren damaligen Privilegien existiert rechtlich nicht mehr.
  • Der Staat nimmt keinen Einfluss auf die inneren Angelegenheiten, ihrer Organisation, Lehre oder Verleihung von Ämtern einer Kirche oder auch Freikirche.
  • Für jede Kirche und Freikirche gelten die Privilegien der „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ nur wenn sie die Schranken des geltenden Rechtes bejahen und sich auch innerhalb dieses Rechtes bewegen.
  • Auch eine Freikirche, die „KdöR“ ist, ist ein integraler Teil unserer Gesellschaft mit allen Rechten und Pflichten und repräsentiert mit anderen Organisationen unsere Gesellschaft.

 

2. Biblische Anweisungen an die Gemeinde Jesu im Verhältnis zum Staat.

  • Die Gemeinde ordnet sich prinzipiell dem Recht des Staates unter.

Die Gemeinde ist prinzipiell kein rechtsfreier Raum.

Sie ist verpflichtet sich der Gesetzgebung und auch der Rechtsausübung des Staates zu unterordnen.

 

Klassische Bibelstelle dazu ist der Römerbrief 13:1-7 worin Gottes Wort klare Anforderungen an die Gläubigen der Gemeinde stellt:

  1. a) Klare Unterordnung den staatlichen Gewalten. Vers 1
  2. b) Die bestehende staatliche Macht ist von Gott gesetzt. Vers 1
  3. c) Wer sich der der staatlichen Macht widersetzt, widersteht der Anordnung Gottes. Vers 2
  4. d) Die staatliche Macht ist Gottes Dienerin. Vers 4
  5. e) Sie ist eine Rächerin zur Strafe für den, der Böses tut. Vers 4
  6. f) Wir sind verpflichtet zu Steuern, Zoll, Ehrfurcht und Ehrerbietung. Verse 6,7

 

Dem entgegengesetzt und nur scheinbar widersprechend stehen die Bibelstellen, wo Gläubige ihrem Glauben und ihrem Gewissen verpflichtet, den Anordnungen und Gesetzen der jeweiligen Machthaber ungehorsam waren und sich auch unter Androhungen der Todesstrafe entschlossen, dem Willen Gottes mehr Gehorsam zu zollen als den Verboten der jeweiligen Staatsmacht.

Dieser Konflikt, den Gläubige immer wieder lösen mussten, begegnete ihnen gerade dann, wenn sie in einem Staat lebten, der geprägt war, durch eine antigöttliche oder antichristliche Kultur und Gesetzgebung.

 

Die typischen biblischen Beispiele finden wir in:

Esther:

Einforderung gottähnlicher Ehrerbietung durch staatliche Machtträger

Esther 3:2   „Und alle Knechte des Königs, die im Tor des Königs waren, beugten die Knie und warfen sich nieder vor Haman, denn so hatte der König es in bezug auf ihn befohlen. Aber Mordechai beugte seine Knie nicht warf sich nicht nieder.“

 

Daniel:

Einforderung von Ehrerbietung anderer Götter und Götzen durch staatliche Mächte:

Daniel 3:10-13   Schadrach, Meschach und Abed-Nego, drei jüdische Gläubige weigern sich das goldene Götzenbild des Königs Nebukadnezar anzubeten und werden deswegen vom König mit der Todesstrafe bedroht.

 

Apostelgeschichte:

Grundsätzliches Verbot der Evangelisation durch religiöse Machtsysteme.

Apostelgeschichte 4:19,20   „Petrus aber und Johannes antworteten und sprachen zu ihnen: Ob es vor Gott recht ist, auf euch mehr zu hören als auf Gott, urteilt ihr! Denn es ist uns unmöglich, von dem, was wir gesehen und gehört haben, nicht zu reden.“

Dies ist eigentlich die beste und klassischste Stelle, für den Konflikt, den Gläubige erleiden, wenn sie in einem antigöttlichen oder antichristlichen Staats-System leben.

 

Wo endet der Gehorsam gegen den Staat?

Wo fängt der Ungehorsam gegen den Staat an, um Gott mehr Gehorsam zu sein?

--> Dies sind schwierige Gewissensfragen.

 

Und der Verirrungen und Mißinterpretationen dieser Bibelstelle gibt es in der Kirchengeschichte die Fülle.

So ist die Erschießung von Abtreibungsdoktoren durch gläubige Abtreibungsgegner ein schlimmer Missbrauch dieser Stelle.

Aber war das Attentat von Stauffenberg, das Hitler töten sollte, ein Akt, der von einem christlichen Gewissen eingegeben wurde? Das sind schwierige ethische und theologische Fragen.

Diese Fragen beschäftigten die Kirchen besonders im Nationalsozialismus und in der DDR, wo sie sich mit einem radikal säkularisiertem und antigöttlichem Staat auseinander setzen mussten.

Diese Spannung versucht die „Zwei Reiche / Regimenter Lehre“ zu erklären und aufzulösen, was aber nie ganz gelingen kann. Luther, der diesen Begriff nie verwendet hat, hat sich in seiner Schrift „Von weltlicher Obrigkeit“ intensiv damit auseinander gesetzt.

 

Zitat aus dem Wikipedia Artikel zur „Zwei Reiche Lehre“:

In „Von weltlicher Obrigkeit...“ unterscheidet Luther zu Beginn das Reich Gottes vom Reich der Welt. Er ordnet beiden Reichen bestimmte Menschengruppen zu: Im Reich Gottes leben die „rechtgläubigen“ Christen, im Reich der Welt alle übrigen Menschen. Demnach kann jeder Mensch nur Bürger eines der beiden Reiche sein, entweder als Christ im Reich Gottes oder als Nichtgläubiger im Reich der Welt.

Zu diesen beiden Reichen treten nun die beiden Regimente Gottes, mit denen Gott allerdings nur das Reich der Welt regiert. Das Reich Gottes existiert unabhängig von den Regimenten: Er unterscheidet einerseits das geistliche, welches „fromm macht“, d.h. den Glauben durch das Predigtamt der Kirche in Wort und Sakrament „durch den heiligen Geist und unter Christus“ weckt, und das weltliche, welches durch das Schwertamt der Obrigkeit dem Bösen, den Unchristen, d.h. zum Schutz der Frommen, und dem Krieg wehrt, d.h. Frieden schafft.

Diese Unterscheidung von zwei Reichen und zwei Regimenten darf nicht vermischt werden. Der Mensch findet sich nun entweder im Reich Gottes durch die Rechtfertigung allein aus Glauben vor, in dem es keine Regimente braucht, weil aus dem Glauben automatisch die guten Werke fließen, oder aber im Reich der Welt, des Unglaubens, indem er durch das Predigt- und Schwertamt konfrontiert und regiert wird. Christen unterwerfen sich aber aus Nächstenliebe der Obrigkeit, bzw. dem weltlichen Regiment, obwohl sie es eigentlich nicht nötig hätten.

So ergibt sich für die Christen das Problem, inwieweit sie berechtigt sind, sich politisch in Staat/Welt zu aktivieren: Luther sagt dazu, dass im Reich Gottes die Bergpredigt und das Liebesgebot gelten und die Menschen sich einander nicht richten sollen (These). Andererseits sind die Christen aber gerade im Reich der Welt, dem sie freilich nicht als Bürger angehören, aufgefordert, das Schwert zu führen. Denn das Böse und das Unrecht müssen gestraft werden (Antithese):

Konkret, „mit dem einen [d.i. im Reich Gottes] siehst du auf dich und das Deine, mit dem andern [d.i. das Reich der Welt] auf den Nächsten und auf das Seine. An dir und an dem Deinen hältst du dich nach dem Evangelium und leidest Unrecht für deinen Nächsten. An dem andern und an dem Seinen hältst du dich nach der Liebe und leidest kein Unrecht für deinen Nächsten - was das Evangelium nicht verbietet, ja vielmehr an anderer Stelle gebietet.

Nun besteht die Synthese also darin, dass Christen für sich freiwillig Unrecht unter der Obrigkeit erleiden, aber für die/den andere/n Unrecht verhindern. Das trifft besonders für das gewaltlose passive Widerstandsrecht gegen einen ungerechten Fürsten zu: An dieser Stelle gilt als verbindliche Verhaltensregel: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.

 

3. Schlußfolgerung

 Als Freikirche sind wir dankbar, in einem Staat zu leben, der immer noch erkennbare Grundzüge von gottesfürchtiger Gesetzgebung behalten hat, so wie 1949 im Grundgesetz niedergelegt. Es war eine Zeit, in der man die Schrecken und Konsequenzen eines gottlosen Systems vor Augen hatte.

Als Freikirche sind wir dankbar, dass wir die Rechte und Privilegien einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen bekommen haben und fühlen uns den Gesetzen des Rechtstaates verpflichtet und sehen uns vom Wort Gottes gedrungen einen sozialen und karitativen und konstruktiven Beitrag in unsere Gesellschaft einzubringen, statt uns hinter „Kirchenmauern“ unserer Gesellschaft zu entziehen.

 

Dennoch leben wir in der Spannung und Trauer damit, dass der demokratische Prozess der Werteänderung Themen in unser Recht integriert hat, die mit dem Wort Gottes in Spannung stehen: z.B. Abtreibung, Homoehe, geschäftsoffener Sonntag, etc.

Dies abzuwägen im Sinne der „Zwei Reiche Lehre“, wie oben erwähnt, bleibt ein ständiger Prozess in der Reflektion des lebendigen Wortes Gottes, unseres göttlichen Gewissens und der aktiven Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft, die sich ständig im Wertwandel befindet.

 

Mario Wahnschaffe, Freie Christengemeinde Bonn, 03.09.2009

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